ZfdA 138 (2009), S. 418f.

Mittelalter-Philologie im Internet

32. Beitrag: Zur Internetpräsentation 'Die Jenaer Liederhandschrift' (ThULB Jena, Ms. El. f. 101; Sigle J)

von Joachim Ott

Ende März 2009 schaltete die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) Jena eine Internetpräsentation frei, welche die Jenaer Liederhandschrift (ThULB Jena, Ms. El. f. 101; Sigle J) in den Mittelpunkt stellt. Damit wird ein Jenaer Projekt ins Bewußtsein auch einer größeren Öffentlichkeit gerufen, das Anfang 2007 startete: Eine eingehende Untersuchung bestätigte damals, daß der 1549 als Bestandteil der von Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen gesammelten, bedeutenden 'Bibliotheca Electoralis' von Wittenberg nach Jena gekommene, schon damals längst nicht mehr unversehrte Codex über die folgenden Jahrhunderte weitere substantielle Beschädigungen erlitten hatte. Somit wurde die Jenaer Liederhandschrift in der Werkstatt der ThULB von Frühjahr bis Herbst 2007 umfassend restauratorisch behandelt, wofür sie zunächst vollständig auseinandergenommen wurde. Dies wiederum bot die einmalige Gelegenheit, im Anschluß an die Glättung der Pergamente jedes Doppel- bzw. Einzelblatt der Hs. separat in hoher Auflösung zu digitalisieren, gleichfalls in der ThULB. So konnte eine bis in die freiliegenden Falzbereiche hinein gleichmäßig optisch ungetrübte Bilddokumentation erzielt werden, ergänzt um Digitalisate des knapp zwei Jahrhunderte jüngeren Wittenberger Einbands. Der restaurierte Codex wurde dann in einer Ausstellung der ThULB vom 3. Oktober bis 10. November 2007 zusammen mit den in der Forschung mit ihm in Verbindung gebrachten Fragmenten anderer Hss. (s.u.) gezeigt. Zudem fand vom 3. bis 5. Oktober in der ThULB eine erstmals explizit der Jenaer Liederhandschrift gewidmete Tagung unter Beteiligung von Mediävisten aus Germanistik und Musikwissenschaft statt. Die Erträge der Tagung werden in Kürze publiziert. Neben neuen Überlegungen zur Lokalisierung der um 1330 entstandenen Hs. enthält der Band unter anderem die Auswertung der begleitend zur Restaurierung durchgeführten kodikologischen Untersuchungen mit Lagen- und Heftlochschema.

Im Zentrum der frei zugänglichen Internetpräsentation 'Die Jenaer Liederhandschrift', die über die ThULB-Plattform 'University Multimedia Electronic Library' (UrMEL) bereitgestellt wird,(1) stehen die Digitalisate der Jenaer Liederhandschrift, die unter Zuhilfenahme einer Zoomfunktion betrachtet werden können. Diese erste farbige Wiedergabe der kompletten Hs. ersetzt endlich das unzureichende Schwarzweiß-Faksimile Karl Konrad Müllers (Jena 1896) bzw. dessen von Helmut Tervooren und Ulrich Müller herausgegebenes verkleinertes Derivat (Göppingen 1972), welches der Forschung zwangsläufig - Pläne einer neuen, farbigen Faksimilierung waren allesamt im Sande verlaufen - bis zuletzt zur optischen Orientierung dienen mußte. Eine weitere Besonderheit der Internetpräsentation ist die Tatsache, daß neben der Jenaer Liederhandschrift selbst auch das ihr zugehörige Einzelblatt in der Studienbibliothek Dillingen (XV Fragm. 19) sowie die im Zusammenhang mit dem Jenaer Codex wiederholt diskutierten Fragmente weiterer Hss. der Zeit - größtenteils erstmalig - komplett farbig zu sehen sind; in kurzen Katalogisaten werden sie beschrieben. Es sind dies: Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, Mscr. N I 3: 145 (Meister Kelin u.a.); Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Hdschr. 401 (Reinmar von Zweter) und Ms. germ. quart. 981 (Anonymus); Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Memb. I 130 (Wolfram von Eschenbach, 'Parzival') und Memb. I 133 ('Segremors'); Biblioteka Jagiellońska Krakau, Berol. Ms. germ. oct. 682 (Walther von der Vogelweide); Landes­archiv Nordrhein-Westfalen / Staatsarchiv Münster, Msc. VII, 51 (Walther von der Vogelweide); Stadtarchiv und Wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest, Fragment 157 (Frauenlob); Schloßmuseum Sondershausen, Germ. lit. 2 (olim: Hs Br. 3) (Wolfram von Eschenbach, 'Parzival'); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernest. Gesamtarchiv, Reg. V 1 ('Segremors') und Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 404.9 (11) Novi (Rumelant von Sachsen). Außerdem sind die vier frühesten (sicheren) Erwähnungen der Jenaer Liederhandschrift in Bild und Text aufgeführt: ThULB Jena, Ms. App. 22 B (3A), Bl. 3r; Ms. App. 22 B (4D), Bl. 3v und Ms. App. 22 B (5C), Bl. 10v (Wittenberger Bibliotheksverzeichnisse, um 1540/45) sowie ThULB Jena, Bibliotheksarchiv, AC I 2, Bl. 9r (Standortverzeichnis der Universitätsbibliothek Jena, um 1597). Die Internetpräsentation enthält außerdem einen einführenden Text zur Jenaer Liederhandschrift sowie eine Dokumentation ihrer Restaurierung in Form von Bildern, eines Films sowie des Schadens- und Restaurierungsprotokolls. Die Präsentation versteht sich als Anreiz für Forschung und Öffentlichkeit, diesem großartigen, in seiner Entstehung noch immer rätselhaften Überlieferungsträger mittelalterlicher deutscher Literatur und Musik neue Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Dr. Joachim Ott, Abteilung Handschriften und Sondersammlungen, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Bibliotheksplatz 2, D–07743 Jena
E-Mail: Joachim.Ott@thulb.uni-jena.de

Anmerkungen:

  1. http://www.urmel-dl.de/content/main/misc/lieder.xml
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