ZfdA 135 (2006), S. 395f.

Mittelalter-Philologie im Internet

26. Beitrag: Nochmals 'Palatina digital'. Digitalisierung aller deutschsprachigen Palatina-Handschriften in der Universitätsbibliothek Heidelberg

von Karin Zimmermann

Bereits 2002 konnte in dieser Zeitschrift (Bd. 131, S. 137-139) ein erstes Projekt zur Digitalisierung der deutschsprachigen Palatina-Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg vorgestellt werden: Ein Teil des Bestandes, 27 obd. Hss. des 15. Jh.s mit ca. 15'000 Seiten und ca. 2'000 Illustrationen, war in einem durch die DFG geförderten Projekt in den Jahren 2000/2001 digitalisiert, sowie inhaltlich und ikonographisch erschlossen worden (http://palatina-digital.uni-hd.de). 2006 ist es nun gelungen mithilfe einer großzügigen finanziellen Zuwendung der Manfred Lautenschläger Stiftung die Digitalisierung und ikonographische Erschließung der restlichen Manuskripte dieses Fonds in Angriff zu nehmen.

Die zu ihrer Blütezeit, Anfang des 17. Jh.s, größte und bedeutendste deutsche Bibliothek, war im Jahr 1623, nach der Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg durch die Truppen der Katholischen Liga, als Beute nach Rom gelangt. Noch heute befindet sich der größte Teil der Sammlung, darunter die meisten nicht deutschsprachigen Hss. und sämtliche Drucke, in der Bibliotheca Vaticana. Lediglich die 847 deutschen Manuskripte waren 1816 für Heidelberg zurückgewonnen worden.
Das ehrgeizige neue Projekt macht es nun möglich, daß eben diese Heidelberger 'Bibliotheca Palatina', eine der wertvollsten Sammlungen deutschsprachiger Hss. des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in drei Jahren komplett online zur Verfügung stehen wird – zu uneingeschränkter, weltweiter und kostenloser Nutzung rund um die Uhr. Derzeit bereits in digitaler Form benutzbar sind beispielsweise Cod. Pal. germ. 112 mit der vollständigsten Überlieferung von Pfaffe Konrads 'Rolandslied', sämtliche, zum Teil autographe Heidelberger Hss. mit Texten Michel Beheims(1) oder das reich illustrierte sogenannte 'Heidelberger Schicksalsbuch', Cod. Pal. germ. 832.

Im Projektzeitraum müssen ca. 245'000 Seiten digitalisiert werden. Dies geschieht in der hauseigenen Digitalisierungswerkstatt der Universitätsbibliothek (http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/digiwerkstatt.html). Hier wird an zwei mit hochauflösenden Digitalkameras ausgestatteten Kameratischen gearbeitet. Mit der speziell für die Arbeit mit Hss. entwickelten Tischkonstruktion ('Grazer Modell') ist eine kostenlose Direkt-Digitalisierung der fragilen Objekte auf äußerst buchschonende Weise möglich. Jedes der Bücher wird mithilfe eines Laserstrahls exakt positioniert, das jeweils aufgeschlagene Blatt durch den sanften Sog einer Unterdruckeinrichtung fixiert. Verzerrungen werden dadurch minimiert, dass die Kamera bei der Aufnahme immer im rechten Winkel auf das Blatt schaut. Im Rahmen des aktuellen Projekts wurde die Ausstattung der Werkstatt, die bislang über lediglich einen Buchtisch mit einer inzwischen 3 Jahre alten Kodak-Digitalkamera verfügte, um einen zweiten Buchtisch mit modernster Technik (Digitalkamera Canon 1Ds Mark II, Auflösung: 16,7 Mio. Pixel) ergänzt. Gleichzeitig finanzierte die Manfred Lautenschläger Stiftung die Aufrüstung des bereits vorhandenen Tischs mit einer baugleichen Canon-Kamera.

Nach der Digitalisierung werden die Images, dem technischen Standard für die Langzeitarchivierung entsprechend, in das TIFF-Format umgewandelt. Mittels professioneller Bildbearbeitungssoftware werden die einzelnen Bilder so nachbearbeitet, dass Farb-, Helligkeits-, Kontrast- und Schärfegrad so weit als möglich dem Original entsprechen. Durch sog. 'elektronisches Binden' wird dann das Präsentationsmodell eines virtuellen Buches erstellt, in dem man auf einfach Weise navigieren bzw. 'blättern' kann. Darüber hinaus ist mittels einer Zoom-Funktion die Betrachtung einzelner Details in verschiedenen Vergrößerungsstufen möglich, auch kann gezielt auf eine bestimmte Seite gesprungen werden.

Eine weitere Zielsetzung des Projekts ist die kunsthistorische Erschließung der ca. 5'000 in den noch zu digitalisierenden Manuskripten erhaltenen Illustrationen. Durch sie soll die wissenschaftliche Aufbereitung der Hss. u.a. durch umfängliche ikonographische Informationen komplettiert werden. Nach Projektabschluß werden alle Bilder mit ihren jeweiligen Erschließungsdaten in der Heidelberger Bilddatenbank HeidICON (http://HeidICON.uni-hd.de) über den Pool 'UB Bibliotheca Palatina' recherchierbar sein.(2)

Ein großer Teil der Manuskripte wurde bereits in dem seit 1996 an der Universitätsbibliothek Heidelberg laufenden Projekt der Rekatalogisierung der Codices Palatini germanici (seit 2001 von der DFG unterstützt) bearbeitet bzw. wird aktuell projektbegleitend beschrieben. Die hierbei erstellten Katalogisate mit sämtlichen kodikologischen Daten werden Benutzerinnen und Benutzern ebenfalls, zur Zeit in Form von PDF-Dateien, über einen Link auf den Projektseiten angeboten.

Je nach Umfang der Manuskripte liegt der wöchentliche 'Zuwachs' bei fünf bis sechs digitalisierten Hss. Über den aktuellen Umfang kann man sich jederzeit auf einer eigenen Projektseite informieren (http://handschriften-digital.uni-hd.de). Wegen der ständig neu hinzukommenden Digitalisate lohnt sich der regelmäßige Besuch dieser Seite. Momentan können bereits 130 Codices Palatini germanici online eingesehen werden (Stand: 11.8.2006).

Mit der vollständigen Digitalisierung aller 848 Codices Palatini germanici nimmt die Universitätsbibliothek Heidelberg eine Vorreiterrolle innerhalb der deutschen Bibliotheks- und Forschungslandschaft ein. Hierdurch reiht sich die Universitätsbibliothek Heidelberg in die Bestrebungen großer internationaler Institutionen ein, die ihren wertvollsten Sammlungsbestand ebenfalls in digitalisierter Form online verfügbar machen (Bibliothèque Nationale in Paris, British Library in London, Pierpont Morgan Library in New York, Oxford University).

Dr. Karin Zimmermann, Universitätsbibliothek Heidelberg, Postfach 10 57 49, D-69047 Heidelberg
E-Mail: zimmermann@ub.uni-heidelberg.de

Anmerkungen:

  1. Cod. Pal. Germ. 312, 334, 351, 375 und 386 mit Liedern und Cod. Pal. germ. 335 und 386 mit Chroniken Beheims.
  2. Möglich ist beispielsweise die Freitextsuche nach Schlagworten, ikonographischen Motiven, Autoren und Textgruppen.
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